We were pleased to answer questions for journalist Ümit Yoker for her story in the Neue Zürcher Zeitung:
Andere Länder, andere Gedanken
Wer seine wissenschaftliche Arbeit mit in die Ferne
nimmt, hofft nicht zuletzt, das fremde Umfeld
möge auch mehr Inspiration und Kreativität
bringen. Zu Recht. VON ÜMIT YOKER
Es ist nicht das erste Mal, dass Ulrike
Freywald ihre Unterlagen und den Laptop
packt und für ein paar Wochen nach
Lissabon zieht. Weg vom Gewohnten,
aber mit klarem Ziel vor Augen, sucht
sie nach einem Alltag, dem das Alltägliche
ihres Berliner Lebens fehlt. Schon
für ihre Doktorarbeit hat die Linguistin
immer wieder an anderen Orten gearbeitet,
verbrachte Zeit in Hamburg
oder Paris. Als es sie letztes Frühjahr
einmal mehr in die Hauptstadt von Portugal
zieht, ist auch ihr Mann mit dabei.
Auf Lissabon fällt die Wahl nicht nur des
Wunsches wegen, sich «ganz auf ein einziges
Thema konzentrieren zu können»,
wie Freywald sagt, die heute als wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der Universität
Potsdam tätig ist. Die beiden
Sprachwissenschafter können den Aufenthalt
auch mit Konferenzen und Treffen
mit Berufskollegen verbinden.
Website für Wissenschafter
Gerade Doktoranden gehen häufig für
befristete Zeit ins Ausland, sei es, um ihr
Fachgebiet an einer anderen Universität
zu vertiefen oder, wie Ulrike Freywald,
um fernab vom bisherigen beruflichen
und sozialen Umfeld an der Dissertation
zu schreiben. Ein Aufenthalt in Städten
wie London oder Zürich bringt aber
nicht wenige an den Rand ihrer finanziellen
Möglichkeiten. Das weiss auch
Nadege Conger. Die gebürtige Französin
hat 2000 die Website Sabbatical
Homes ins Leben gerufen, auf der Akademiker
ihr Zuhause für befristete Zeit
mit jemandem tauschen, die eigene
Wohnung für ein paar Monate zur Miete
ausschreiben oder teilen können.
Den Einfall dazu hatte Conger, die
seit zwanzig Jahren in Kalifornien lebt,
weil sie ein solches Angebot einst selbst
gut hätte gebrauchen können. Sie war
gerade Mutter geworden und wollte
ihren Mann für einen mehrwöchigen
Aufenthalt nach London begleiten. «Wir
hatten die Wahl, mit Sack und Pack vor
Ort aufzutauchen und zu hoffen, dass
wir möglichst schnell eine Bleibe finden,
oder über Monate Miete für eine Wohnung
zu bezahlen, die wir nur kurze Zeit
benötigten.» Sabbatical Homes fand
schnell Anklang und verzeichnet heute
neben Einträgen aus den Vereinigten
Staaten auch solche aus Kanada, Australien
und Europa. Der Dienst richtet sich
primär an Wissenschafter, ist aber laut
Conger auch bei Künstlern, Schriftstellern
und Journalisten beliebt. Besonders
gefragt sind Städte mit renommierten
Universitäten: Boston, Berkeley oder
New York, aber auch Montreal oder
Sydney, London und Paris. Kaum Angebote
oder Anfragen gebe es hingegen
aus Asien. Über die Gründe kann die
Französin nur mutmassen: «Vielleicht
lässt sich das Konzept nicht überall mit
den herrschenden Vorstellungen von
Privatsphäre vereinbaren.»
Effizienter und kreativer
Ulrike Freywald hat ihr Daheim in der
Ferne bisher jeweils auf privatem Weg
gefunden; meist handelte es sich um
Wohnungen von Freunden, die selbst
gerade unterwegs waren. «An Lissabon
gefällt mir, dass die Stadt anregend und
entspannend zugleich ist», sagt die Berlinerin.
Es fehle nicht an neuen Eindrücken,
und doch werde man nicht zu
sehr abgelenkt; alleine schon, weil man
am fremden Ort ja kaum jemanden
kenne und wenig soziale Verpflichtungen
habe. «Vielleicht ist es gerade diese
Mischung, die einen in der Ferne oft effizienter
und kreativer arbeiten lässt.»
Die Wissenschaft gibt der Linguistin
recht. So hat der Sozialpsychologe William
Maddux festgestellt, dass Auslandaufenthalte
mit erhöhter Kreativität einhergehen
– allerdings nur unter bestimmten
Bedingungen: Es reiche nicht,
schreibt er in einer seiner Arbeiten, die
Welt zu bereisen oder sich einfach länger
in einem fremden Land aufzuhalten;
notwendig sei eine Auseinandersetzung
mit der neuen Umgebung, ihrer Sprache
und ihren Eigenheiten. Maddux untersuchte,
wie kreativ Studenten, die eine
gewisse Zeit in einem anderen Land verbracht
haben, beim Lösen von Wortassoziationstests
und ähnlichen Aufgaben
waren. Probanden, die dabei vorab
gebeten worden waren, sich Gedanken
über die Gründe für Regeln oder Bräuche
in ihrem einstigen Gastland zu
machen, schnitten deutlich besser ab als
etwa solche, die aufgefordert waren, sich
möglichst genau an ihren letzten Supermarktbesuch
zu erinnern oder daran,
wie sie eine neue Sportart erlernt hatten.
Routinen aufbrechen
Der Zusammenhang zwischen Engagement
und Offenheit gegenüber einer
neuen Kultur und Kreativität ist für den
Dozenten an der Business School
Insead im französischen Fontainebleau
naheliegend: Neben der Tatsache, dass
einem im Ausland unweigerlich Neues
begegnet, das vielleicht zu inspirieren
vermag, stellt die fremde Umgebung gewohnte
Denkmuster und Verhaltensweisen
infrage und bricht fortwährend
Routinen auf. Auf einer solchen Grundlage,
vermutet Maddux, sind wir unter
Umständen ganz allgemein eher dazu
bereit, Ideen aus ungewöhnlichen Quellen
zu speisen und Gedanken neu zu
kombinieren. Und vielleicht sehen wir ja
dann auch das Problem, das uns in unserer
Abschlussarbeit schon seit Wochen
quält, auf einmal in neuem Licht.